Yantra Yoga

Yantra Yoga, auch Yoga der Bewegung genannt, ist ein altes System des tibetischen Yoga. Es basiert auf dem Text “Die Vereinigung von Sonne und Mond”, geschrieben im 8. Jahrhundert vom Meister und Übersetzer Vairochana. Chögyal Namkhai Norbu hat Anfang der Siebziger Jahre einen ausführlichen Kommentar zu dem Wurzeltext geschrieben und damit begonnen, diese Lehre im Westen zu übertragen und zu unterrichten.

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Yantra Yoga ist eine grundlegende Methode, mit deren Hilfe der Übende die tiefgründige Essenz der Dzogchen Lehren in alle drei Aspekte seines Daseins (Körper, Energie und Geist) integrieren kann. Körperpositionen und Bewegungen werden bei den Übungen mit dem Atem verbunden, dadurch wird die Energie koordiniert und harmonisiert. So entspannt sich auch der Geist; er findet zu seiner authentischen Ausgeglichenheit und kann auf dieser Grundlage in den Zustand der Kontemplation eintreten.

Körper, Energie und Geist sind in vollständiger gegenseitiger Abhängigkeit und deshalb beginnt man in der tibetischen Tradition mit diesem Motiv Yoga zu praktizieren.

Der tibetische Yoga der Bewegung kann für jeden Menschen von grundsätzlicher Bedeutung sein, da jeder von uns wissen sollte, wie wichtig die genaue Kenntnis der relativen Bedingungen für unsere normale Situation im alltäglichen Leben ist und welche Rolle sie in unserem Leben spielt. Dies merken wir oft erst, wenn wir mit ernsthaften Schwierigkeiten im Leben konfrontiert werden und so verwirrt sind, daß unser Geist keine Lösung der Probleme sieht. Solche Schwierigkeiten geistiger Natur sind in völliger Abhängigkeit von unserem physischen Körper und dessen Energien.

Die physischen Energien sind abhängig von der Atmung, und diese wiederum ist mit der Energie in Verbindung. Atmung und Energie stehen somit in wechselseitiger Abhängigkeit mit dem physischen Körper. Deshalb führen wir, um den Geist und die physischen Energien kontrollieren zu können, bestimmte Bewegungen aus und nehmen gewisse Körperhaltungen ein. Jede dieser Positionen und Bewegungen hat eine bestimmte Wirkung auf Geist und Energie. Der Geist ist in Abhängigkeit von den physischen Energien, und deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, zunächst diese physischen Energien kontrollieren zu können. Da die Atmung in Abhängigkeit von physischen Bewegungen und Köperhaltungen ist, wenden wir diese an, um einen positiven Einfluß auf unseren Geist und Energiehaushalt zu bewirken. Auf dieser Grundlage ist es uns dann möglich, die Situation gemäß den Anforderungen an unseren Körper, unsere Stimme oder Energie und unseren Geist zu beurteilen und entsprechend zu handeln. Wenn wir das Problem nicht direkt mit unserem Geist durch Nachdenken und Urteilen angehen können, was oft der Fall ist, wenn physische Energien, die Atmung und unser Nervensystem gestört und durcheinander geraten sind, dann können wir Techniken und Methoden wie jene des tibetischen Yoga der Bewegung für Körper und Atmung anwenden, und so indirekt auf den Geist und die Gedanken, auf Nervosität und Unruhe einwirken.

Wenn von Yoga und speziell dem tibetischen Yoga der Bewegung die Rede ist, denken viele Menschen zunächst an eine Art von oberflächlicher Gymnastik. In der Praxis des Yoga gibt es mit Sicherheit viele verschiedene Körperhaltungen und Bewegungen, diese sind jedoch von relativer Bedeutung. Es geht nicht in erster Linie darum, die Glieder zu lockern und körperliche Beweglichkeit zu entwickeln, denn es geht nicht um etwas ausschließlich Physisches. Die Grundlage des Yantra Yoga, des Tibetischen Yoga der Bewegung, aber auch jeder anderen tiefgründigen Belehrung des tibetischen Buddhismus, ist die Kenntnis unseres Zustandes, unseres menschlichen Daseins.

Im System des tibetischen Yoga oder Yantra, das wir ausüben, gibt es im wesentlichen fünf Arten von Atemübungen. Und diese fünf Übungen haben die Funktion, den Zustand der Natur des Geistes zu verwirklichen und zu stabilisieren, indem die karmische Atmung in den Zentralkanal gebracht wird. Dieser stellt den Zustand der Kontemplation dar. Wer sich im Zustand der Kontemplation befindet, hat keine Probleme mit dem Energiegleichgewicht. Die Koordination der Energie ist der eigentliche Grund dafür, Atemübungen im Yantra Yoga zu machen.

Was bedeutet Yantra? Es bedeutet Bewegung, tibetisch Trulkhor (‘phrul ‘khor). Tatsächlich sind die Bewegungen in dieser Praxis wichtiger als die Körperpositionen. Bei unterschiedlichen Bewegungen ändern sich nämlich auch die Bedingungen der Atmung. Die Atmung ist mit der Wirkungsweise der Lebensenergie des Prana verbunden. Will jemand also Prana koordinieren, muß er dies durch Bewegung tun.

Was erreicht man, wenn man diese Praxis übt? Jemand, der verwirrt und aufgeregt ist, kann einen Zustand der Ruhe erlangen. Weiter ist es möglich, im Zustand der Ruhe Kontemplation zu entfalten. Wer den ruhigen Zustand entwickelt hat, kann durch diese Übung die alltäglichen Gegebenheiten der Existenz in den Zustand integrieren, den er oder sie in der Praxis gefunden hat. Alle Bewegungen, die man im Yantra Yoga macht, dienen grundsätzlich dazu, einen natürlichen Zustand der Ruhe zu erlangen.

[Chögyal Namkhai Norbu, Die Harmonie der Elemente in der Kunst der Atmung]